Nach drei Tagen Grossstadtfeeling wurde es Zeit, weiter Richtung mexikanische Grenze zu ziehen. Erstes Ziel: El Paso. Noch ein bisschen weiter westlich fängt dann der Trail an.
Als ich am Gate auf den Flug wartete, bekam ich eine nette Nachricht von Amtrak, der Zuggesellschaft, welche mich morgen von El Paso nach Lordsburg bringen sollte: Meine Zugverbindung wurde ersatzlos gestrichen. Ich soll mich bei ihnen melden, um eine Lösung zu finden. In der gleichen E-Mail wurde mir auch gleich mitgeteilt, dass der Zug kaputt sei und diese Woche wohl nicht mehr geflickt werde. Die Zeit und Nerven für dieses Telefonat konnte ich mir also sparen. Ich habe kurz Greyhound als Alternative in Betracht gezogen, aber die Abfahrtzeit um 2 Uhr morgens schreckte mich ab. Nach meinen ÖV-Erfahrungen konnte ich auf eine Busfahrt mitten in der Nacht gut verzichten. Was macht man da in der Verzweiflung? Einen Post in die Facebookgruppe „CDT-Hikers 2022“. Ich schilderte mein Problem und fragte, ob vielleicht sonst noch jemand mit in der Scheisse steckt. Es vergingen keine fünf Minuten, da bat mir der Trailangel Tim eine Fahrt an. Trailangels sind Leute, die in der Nähe des Trails wohnen, oft auch schon selbst gewandert sind und den Wanderer unter die Arme greifen, wo sie nur können. Tim wird mich also morgen in meinem Hotel abholen nach Lordsburg bringen. Phu, Schwein gha!
Der Flug nach El Paso war sehr angenehm. Das gute an den amerikanischen Airlines ist, dass die Sitze so breit sind wie sie bei uns nur in der Businessklasse vorkommen. Der Blick aus dem Flugzeugfenster liess erahnen, was mich die ersten Tage auf dem Trail erwartet: Wüste so weit das Auge reicht. Man sieht aber auch die Ausläufer der Rocky Mountains, die Bergwelt ist also nicht so weit entfernt.

Als ich das klimatisierte Flughafengebäude verlassen hatte, wurde ich von der Hitze fast erschlagen. Bereits in Dallas war es um die 30 Grad warm. Hier werden es wohl noch etwa 5 Grad mehr sein.
Im Bus in die Innenstadt fällt mir zum erstem mal auf, dass hier fast nur Spanisch gesprochen wird, obwohl El Paso zum US-Bundesstaat Texas gehört. Rund 80% der Einwohner sind Hispanics. Die Stadt war mir von Anfang an sympathisch und ich fühle mich sehr sicher. Das ist nicht selbstverständlich, denn in Fussdistanz liegt die mexikanische Stadt Ciudad Juárez. Und dort tobt der Drogenkrieg. Ciudad Juárez gilt als eine der gefährlichsten Städte weltweit. Von dem all ist hier nichts zu spüren. El Paso soll unter anderem dank einem speziellen Sicherheitskonzept, das auf eine enge Zusammenarbeit zwischen Uniformierten und Bevölkerung setzt, sehr sicher sein.


In der Innenstadt angekommen, checkte ich ins älteste Hotel von El Paso ein. Seit der Eröffnung 1922 wurde hier wohl nichts mehr gemacht… Der bekannte Bankräuber John Dillinger soll schon hier genächtigt haben. Dessen Geschichte wurde übrigens verfilmt: „Public Enemies“ mit Johnny Depp in der Hauptrolle. Spätestens beim Betreten des 2. Stockwerks fühlte ich mich dann auch wie mitten in einem Gangsterfilm. Durch einen ellenlangen, düsteren Korridor bin ich zu meinem Mini-Zimmer gekommen. Obwohl es an diesem Ort spuken soll, habe ich wunderbar geschlafen.




Morgens um 7 Uhr holte mich Tim vor dem Hotel ab. Bis zum ersten Kaffeestop war es ruhig im Auto, was mir als Morgenmuffel durchaus gelegen kam. Nach ca. einer Stunde war dann das Eis gebrochen und er quetschte mich aus und ich ihn. Er diente lange Zeit in der Armee und ist nun, mit 46 Jahren, pensioniert. Seither umsorgt er Wanderer ehrenamtlich. So hat er zum Beispiel vor einiger Zeit einen jungen Mann bei sich aufgenommen und gepflegt, der sich beinahe selbst vergiftet hat weil er kontaminiertes Wasser getrunken hat. So was komme halt mal vor, ich solle mich einfach bei ihm melden, wenn ich ein Problem hätte, meinte Tim. Der Typ macht mir Mut.
Etwas nach 9 Uhr sind wir in Lordsburg angekommen. Viel hat es hier nicht, ein paar Motels, ein Restaurants und einen Supermarkt.

Ich hatte Glück, mein Zimmer war bezugsfertig und ich konnte bereits einchecken. Die WLAN-Verbindung reichte sogar für ein Telefonat mit Tobi. Das war Honig für die Seele.
Nun geht es um die letzten Vorbereitungen. Letzte Einkäufe erledigen, Kalorien zählen (mind. 4’000 kcal/pro Tag sollte man einrechnen) und Rucksack büschele. Denn morgen um 6 Uhr gehts los. Dann holt mich nämlich der Shuttle ab, der mich an die mexikanische Grenze nach Crazy Cook, an den Start des Continental Divide Trails, nimmt. In ca. fünf Tagen werde ich dann wieder hier in Lordsburg sein.

Rita kamber
Super interessant! Sehr gut geschrieben. Ich werde dranbleiben und wünsche Dir weitehin alles Gute!
admin
Merci Rita! 🙂