Zu Fuss durch die USA

Tag 92-99 Im Grizzlyland

Tag 92

Die Nacht im Park war sehr erholsam. Um 7.00 Uhr trafen Stoke und ich Stuck (richtig gelesen, die heissen fast gleich) und Rowman bei McDonalds. Wir werden gemeinsam durchs Grizzlyland wandern.

Nach einem Kaffee stellten wir uns an die Haupstrasse und versuchten, einen Hitch zurück zum Trail zu kriegen. Es dauerte etwa 45 Min., bis ein alter, ein bisschen grimmig dreinschauender Mann anhielt. Er hatte nur zwei Sitze frei, also setzten sich Stuck und ich auf die Ladebrücke des Pickups.

Unser Fahrer war ein Farmer und musste noch einen Zwischenhalt machen, um Salzsteine für seine Kühe zu besorgen. Wir halfen ihm beim Einladen der Ware. Prompt liess ich einen 22 kg-Stein auf meine Finger fallen. Autsch, das tat weh!

Nach einer ca. 45 Min. Fahrt waren wir endlich wieder auf dem Trail. Es ist immer wieder beeindruckend, wie schnell sich die Landschaft verändert. Von der öden Wüstenlandschaft wird es zunehmend grüner, und es sind wieder Berge zu sehen.

Da wir uns nun im Grizzlyland befinden, assen wir etwa 5 km vor unserem Nachtlager. Grizzlys haben einen besonders guten Riecher und so macht man alles, um sie nicht anzulocken.

Bevor wir unsere Zelte aufstellten, hängten wir unser Essen und alles, was gut riecht, also z.B. Sonnencreme und Zahnpasta, in einem Sack hoch in die Bäume. Auch das soll helfen, die Bären davon abzuhalten, unser Nachtlager aufzusuchen. Ich hoffte, das wirkt. Zur Sicherheit hatte ich aber den Bärenspray griffbereit neben meine Schlafmatte gelegt.

Tag 93

Das Spannende am Continental Divide Trail ist, dass es zahlreiche Alternativrouten gibt. Es ist also nicht ein strikter Wanderweg, der von Mexiko nach Kanada führt. Solange man +/-50 Meilen auf kontinentalen Wasserscheide läuft, ist man auf dem Continental Divide Trail.

So entschieden wir uns heute, einen Teil auf der blauen Route zu gehen, die nach ca. 20 km wieder auf die Originalroute führt.

Schon am morgen früh wurden wir mit einer fantastischen Aussicht auf den Little Sandy Lake belohnt. Die Berglandschaft hier ist so viel anders als Colorado. Aber mindestens so schön.

Bald hatten wir mit umgewehten Bäumen, die den Wanderweg versperrten, zu kämpfen. Es ist anstrengend und mühsam, mit einem gefüllten Rucksack über die Bäume zu klettern. Der Wald war so dicht, dass es schwierig war, die Route zu finden und bald hatten Rowman und ich die anderen zwei aus dem Blickfeld verloren. Ich folgte einfach Rowman, ohne auf die Karte zu schauen. Auf einmal stellt Rowman fest: „Ich glaube, wir sind im Kreis gelaufen!“ Ich sah mich ein bisschen genauer um und die Umgebung kam mir tatsächlich bekannt vor. Wir waren tatsächlich wieder auf der Originalroute. Also beschlossen wir, auf dieser zu bleiben, denn die anderen würden wir in 20 km, oder spätestens am Abend beim vereinbarten Campingspot, wieder treffen.

Auf einmal hörte ich einen lauten Schmerzschrei mit anschliessendem Fluchen. Rowman fiel beim Überklettern eines Baumes mit seinem ganzen Gewicht auf seinen Fuss. Er stand zwar kurz darauf wieder auf, aber sein Humpeln verhiess nichts Gutes. Er lief noch ein paar Meter, bis er sich letztlich hinsetzen musste. „Ich glaube, da ist etwas gebrochen“ sagte er mit schmerzverzerrtem Gesicht. Als er seinen Schuh auszog, war sein Aussenrist bereits blau.

„Geh du bitte weiter, damit du die anderen einholst. Ich komme schon zurecht“, meinte Rowman. Er wollte sich mit Ibuprofen vollpumpen und dann 12 km zur nächsten Strasse laufen. Ich machte mich weiter auf den Weg.

Diese Strecke auf der Originalroute wird nicht oft begangen. Die meisten nehmen die Alternativroute. Bald war mir auch klar, weshalb. Je länger ich unterwegs war, je schwieriger wurde der Weg. Der Wald wurde dichter und die umgefallenen Bäume häuften sich.

Kurz vor dem absoluten Niemandsland kamen mir dann aber tatsächlich noch zwei Männer entgegen. Beide mit Waffe, griffbereit vor der Brust. Ich fragte sie, ob der Weg noch lange so weitergehe, oder ob er teils geräumt sei. „Wir sind nur eine kurze Strecke auf dieser Route gewandert, aber es geht wohl noch mindestens 8 Meilen so weiter. Du trägst doch eine Waffe bei dir, SWEETHEART?“ meinte der eine. Ich schüttelte den Kopf. „Dann schau besser, dass du deinen Bärenspray nah bei dir trägst und jederzeit griffbereit hast, denn es hat definitiv Bären dort oben.“ Ich tat so, als liesse mich das Macho-Gequatsche kalt und wünschte ihnen einen guten Tag. Aber langsam überkam mich doch ein mulmiges Gefühl. Im Nachhinein betrachtet, hätte ich an dieser Stelle vielleicht umkehren sollen. Aber der Point of no Return war für mich bereits überschritten: Wieder den ganzen Weg zurückzulaufen und die andere Route weiter zunehmen, hätte mich mindestens einen halben Tag gekostet. Also ging ich weiter. Der Weg wurde definitiv nicht einfacher. Der Wanderweg wurde praktisch inexistent und teilweise brauchte ich über eine Stunde, um einen einzelnen Kilometer zu bewältigen. Meine Unterschenkel hatten beim Klettern so viele Äste abbekommen, dass sie mittlerweile von bluteten Kratzern übersät waren und ich war von Kopf bis Fuss voll Harz. Weiter machten mir die Mücken zu schaffen, welche mich zu hundertsten treu begleiteten. Dann kamen da noch Mottenschwärme dazu, die mich vollkackten. Ein riesiger Spass also.

Was ich dann am Boden entdeckte, war der Gipfel: Bärenkot, frisch ab Presse. Von da an war die Kacke wortwörtlich am Dampfen! Ich bekam es mit der Angst zu tun. Zum ersten Mal auf dem Trail hatte ich richtig Schiss. Und obwohl ich es gewohnt war, alleine zu wandern, fühlte ich mich so einsam wie noch nie. Zu der Angst und Einsamkeit kamen das schlechte Gewissen und die Sorgen um Rowman dazu. Schliesslich hatte ich ihn einfach alleine seinem Schicksal überlassen! Man soll laut sein, dann seien die Bären vorgewarnt und hauten ab, haben mir die Leute erzählt. Also fing ich an zu singen. Es hörte sich anfangs an wie ein verzweifeltes Winseln. Aber es tat gut und half gegen die Angst. Mein Gesang wurde immer selbstbewusster und lauter. Mein Repertoire umfasste unter anderem Göläs ältestes Album, die Klassiker von Patent Ochsner und ein paar Oldies der Beatles. Und es hat gewirkt: Die Bären haben sich alle ganz dicht in den Wald verzogen, keinen einzelnen habe ich zu Gesicht bekommen.

Nach etwa 13 km, welche mich den ganzen restlichen Tag gekostet hatten, wurde der Weg endlich einfacher passierbar. Da haben ein paar gute Seelen doch noch eine Motorsäge zur Hand genommen und die Bäume, welche quer über dem Wanderweg lagen, versägt.

Es war bereits am Eindunkeln, als ich beim vereinbarten Zeltplatz eintraf. Und ich sah kein Zelt. Vielleicht sind Stoke und Stuck noch etwas weiter gewandert, denn die blaue Route ist wohl in einem viel besseren Zustand und sie sind bestimmt schneller vorwärtsgekommen, dachte ich und lief weiter. Ich sang noch etwas lauter, denn Wandern in der Nacht war mir nicht so geheuer.

Es war mittlerweile schon stockdunkel, als ich mit meiner Stirnlampe in fünf leuchtende Paar Augen zündete. Ich erschrak zuerst. Bald wurde mir aber bewusst, dass es Pferde waren, die gechillt drauf waren. Da sie Glocken trugen, schrecken sie vielleicht die Bären ab, dachte ich mir. Also stellte ich mein Zelt in ihrer Nähe auf, denn die anderen hatte ich bis dahin nicht getroffen und es war doch schon 22.30 Uhr. Ich hängte meinen Essenssack so weit wie möglich in einen Baum und stellte mein Zelt auf. Bald darauf bin ich in einen unruhigen Schlaf gefallen.

Tag 94

Ich hatte den Wecker auf 04.30 Uhr gestellt. Denn wenn die anderen zwei vor mir sind, kann ich sie so vielleicht aufholen, dachte ich mir. Nach dem Tag gestern wollte ich lieber nicht alleine weiterwandern.

Als es hell wurde, schaute ich mir die Fussabdrücke etwas genauer an. Da waren keine von Stokes Schuhen, denn die kenne ich mittlerweile. Womöglich hatte ich die beiden gestern also doch übersehen. Ich lief trotzdem weiter, wach war ich ja bereits. An einem See gönnte ich mir dann eine längere Mittagspause.

Ich wollte mir gerade ein stilles Örtchen suchen, da sah ich die zwei mit beiden Armen winkend auf mich zukommen. Eigentlich war es ja klar, dass sie in diesem Moment kommen würden. Man kann tagelang auf dem Trail keine Seele treffen, aber sobald man kurz sein Geschäft erledigen will, kommt bestimmt jemand um die Ecke.

Ich war heilfroh, die zwei zu treffen. „Wo bist du gewesen, wir haben uns solche Sorgen gemacht!“, sagte Stoke. Als ich ihnen dann erklärte, dass ich sie beim vereinbarten Platz nicht gesehen habe, und mir dann dachte, dass sie vielleicht weitergewandert sind, meinte er: „Wir haben extra auf dem kleinen Hügel oberhalb des Sees gecampt, damit du uns gut siehst vom Wanderweg aus.“ Hmmm meine Augen waren gestern Abend wohl schon auf halbmast.

Wir haben sofort unsere Satellitentelefon-Adressen ausgetauscht. So können wir auch untereinander kommunizieren, wenn wir kein Netz haben. Ich fühlte mich wieder sicher. Nun konnte ich die wunderschöne Landschaft richtig geniessen.

Ich war heilfroh, als Stuck vorschlug, heute schon um 16.30 Uhr unsere Zelte aufzuschlagen. „Du musst sicher müde sein, nach den Strapazen gestern“. Oh ja, das war ich. Es war noch taghell, als ich, mit einem wohligen Gefühl von Zufriedenheit, in einen tiefen Schlaf fiel.

Tag 95

Auch heute wurden wir wieder mit einer wunderschönen Landschaft belohnt. Ich glaube sogar, dies ist bis jetzt mein Lieblingsabschnitt. Wir sind in den Bergen, aber müssen nicht so viele Höhenmeter hinter uns legen wie in Colorado. Auch das Wetter ist mild, es gibt keinen Frost in der Nacht.

Wir haben beschlossen, uns einen Tag länger als geplant Zeit zu nehmen. So können wir die wunderschöne Umgebung mehr geniessen.

Tag 96

Heute war ein easy Tag. Wir wanderten fast 40 km, aber der grösste Teil war flach. So assen wir bereits um 16.30 Uhr Znacht, und lagen um 18.00 Uhr im Zelt, wo wir vor den Mücken geschützt waren.

Tag 97

Dass wir im Grizzlyland sind, ist uns auch heute wieder bewusst geworden. Als wir einer sandigen Strasse entlang liefen, sahen wir frische Fussabdrücke von Bärentatzen, die einiges grösser waren als meine Füsse. Immerhin gingen die Spuren gegen unsere Richtung.

Fast 50 km haben wir heute geschafft. Der Trail war sehr einfach zu laufen. Die meiste Zeit gings durch Wälder und es war fast alles flach.

Da die Nacht ein Gewitter drohte, suchten wir einen Platz mit gesunden Bäumen aus, welche uns hoffentlich vor Blitzschlägen schützen würden. Das war gar nicht so einfach, denn auch hier in Wyoming hat es viele Bäume, die vom Borkenkäfer gekillt wurden.

Bei unserem Campingspot hatte es sogar eine Bärenbox. So konnten wir uns für einmal das Gehänge mit unseren Essenssäcken sparen.

Tag 98

Heute waren es nur noch ca. 20 km zum Highway, der nach Jackson Hole führt. Dort werden wir bei einer Bekannten von Stoke übernachten.

Nach einer halben Stunde hitchhiken hielt ein Mann an. Er war eigentlich auf dem Weg in den Yellowstone, nahm aber den Umweg von 50 Min. in kauf, um uns nach Jackson zu bringen.

Jackson ist eine richtige Cowboystadt. Etwas touristisch, aber mir durchaus sehenswert. Nachdem wir uns einen Burger gegönnt hatten, kümmerten wir uns um die Campingbewilligungen für Yellowstone. Da man in Nationalparks nicht einfach wild campen darf, mussten wir die Übernachtungsorte bereits im Voraus definieren. Die sehr hilfsbereite Mitarbeiterin vom Nationalpark klärte uns am Telefon darüber auf, wie wir uns zu verhalten haben, wenn wir auf einen Bären treffen und wollte unsere geplante 4-tägige Route bis ins Detail durchgehen. Einen Teil des Yellowstone Nationalparks ist immer noch nicht passierbar wegen der Flut, welche teils ganze Häuser wegschwemmt hat. Wir bekamen aber grünes Licht für unsere geplante Route. Es werden strenge fünf Tage, denn wir werden je 50 km zurücklegen müssen. Da aber der meiste Teil flach ist, sollte dies durchaus machbar sein.

Nach dem Telefonat, welches über eine Stunde gedauert hat, gingen wir einkaufen. Wir wollten alles heute erledigen, damit wir unseren wanderfreien Tag morgen voll geniessen können.

Am späteren Nachmittag gingen wir zu Sam, Stokes Bekannte. Sie wohnt in einem wunderbaren Haus im Grünen. Wir kochten uns ein leckeres Nachtessen und wuschen unsere Kleider, die nach sieben Tagen standen vor Dreck.

Am Abend wollte uns Sam an ein Festival ausführen. „Es ist im Nachbardorf, nur eine kurze Autofahrt entfernt.“ Wir fuhren über den Titon-Pass und die Fahrt dauerte über eine Stunde. Es sind halt andere Distanzen da.

Ich genoss den Abend am Festival sehr. Es war eine kurze Reise zurück ins „normales Leben“.

Tag 99

Den heutigen Tag starteten wir gemütlich mit einem ausgiebigen, selbstgemachten Frühstück mit Rührei, Speck und allem was dazu gehört.

Danach führten uns Sam und Ann ein bisschen durch Jackson Hole. Der Gang zur Poststelle war dann eine frustrierende Angelegenheit: Obwohl Stuck eine Bestätigung hatte, dass sein Paket abholbereit war, gaben sie ihm dies nicht raus. Die Post-Mitarbeiterin war total gefrustet und überfordert und sagte nur: „Ich weiss nicht wo dein Paket ist und ich kann es jetzt auch nicht suchen gehen.“ Dabei wäre Stuck dringend auf sein neues Zelt angewiesen gewesen: Bei seinem alten ist der Reissverschluss gerissen und es mutierte die letzten Tage zur Moskitohölle. Ihm blieb nichts anderes übrig, als beim Outdoorshop in Jackson ein völlig überteuertes Zelt zu kaufen.

Nach dieser Misere machten wir einen Ausflug an den Fluss, wo wir bei einem Fussbad die Seele baumeln liessen. Es ist eine tolle Erfahrung, Zeit mit Locals zu verbringen und einen Blick in ihren Alltag zu ergattern.

Am Abend gingen wir in ein Mexikanisches Restaurant essen. Es fühlte sich an wie ein Kurztrip nach Mexiko.

Unsere Rucksäcke haben wir schon vor dem Schlafengehen gepackt. Denn morgen erwartet uns wieder die Wildniss und ein 50 km Wandertag steht bevor.

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  1. Katalin Pusz

    Conny, ich kann es mir gut vorstellen, wie es ist, wenn man/frau singend gehen ‚muss‘
    um die Bären fernzuhalten.
    Und gleichzeitig vielleicht ist die Hose schon voll….🙈
    Du machst es super!
    Weiterhin alles Gute und Kraft auf diesem Trail!😍

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