Tag 9
Letzte Woche brach ein Schneesturm nochmals ordentlich Schnee nach Colorado. Es bringt also nichts, wenn ich durch New Mexico renne, denn es wird noch etwas dauern, bis das Gebirge passierbar ist.
Diese Tatsache nahm ich zum Anlass, heute bereits nach fünf Meilen eine Pause beim Campingplatz Burro Mountain einzulegen.
Ich meldete mich bei der Rezeption und sagte, ich möchte gerne hier übernachten. Die nette Dame fragte mich, ob ich nebst dem Auto auch noch einen Wohnwagen, Quad oder dergleichen dabei hätte. Weder noch, ich sei mit dem Zelt hier, antwortete ich bescheiden. Oh you’re a Hiker?! Ich soll mir in der Kühltruhe eine Glace aussuchen, die geht aufs Haus. Ah und Duschen und Übernachten sei selbstverständlich auch um sonst. Falls ich Wäsche waschen möchte, nur zu, das Waschpulver sei für Wanderer gratis. Ein bisschen perplex bedankte ich mich herzlich und machte mich erst mal auf unter die Dusche.
Plötzlich rief einer über den halben Campingplatz meinen Namen. Blizzard, den ich am ersten Tag traf, und ein weiterer Wanderer sassen gemütlichen im Schatten. Der zweite Typ, Amerikaner etwa zwei Meter gross und um die 60ig, stellte sich mit Metric Ton, also Tonne vor. Ich trage einen Rucksack mit mir herum, der fast eine Tonne wiegt, meinte er.
Metric Ton fragte mich, von wo ich denn komme. Oh from Switzerland? Dann gings los. Hier die Kurzfassung: Vor etwa 20 Jahren, er hatte lange Haare und sah aus wie ein Rockstar (seiner Beschreibung nach), traf er eine Schweizerin. Sie machte Autostopp und er lud sie auf. Er hatte eine riesen Beule an seinem Knie. Sie meinte, er müsse das unbedingt einem Arzt zeigen. Wenig später kündigte er seinem Job, operierte sein Knie und verlobte sich mit eben dieser Schweizerin. Zwei Wochen und zwei Tage nach der Operation zogen die beiden los, um den Appalachian Trail (ein anderer Fernwanderweg in den USA) zu laufen. 14 Tage nach Wanderbeginn machte sie Schluss.
Aber schau, was ich noch von ihr habe! Mit funkelnden Augen hielt er mir sein mini Victorninox-Messer hin. Hast du auch eins dabei? fragte er mich. Ich nahm mein Sackmesser hervor, legte es neben seines. Und da fühlte er sich wohl in seiner Männlichkeit verletzt. Oh so eine kleine Frau und so ein grosses Messer? Das gibts doch nicht!
Nachdem er sich erholt hat, fragte er mich: Hast du schon einen Trailnamen? (Auf den Amerikanischen Fernwanderwege ist es üblich, dass jeder Wanderer einen Spitznamen bekommt). Nein, habe ich nicht, das ist mein erster Fernwanderweg hier, meinte ich zu ihm. Dann nenne ich dich von jetzt an BSK! BSK? fragte ich verdutzt. Ja, Big Swiss Knife! Er wollte noch ein Foto von unserem Messervergleich machen. Mit diesem Foto werde er jeden da draussen vor der kleinen Frau mit dem grossen Messer warnen!
Na dann…
Ich muss mir noch durch den Kopf gehen lassen, ob ich Big Swiss Knife wirklich als Trailnamen annehmen möchte. Irgendwie ist mir der Name zu lang und ein bisschen zu patriotisch.



Tag 10
Nach dem Plöischlitag gestern, musste heute wieder etwas gehen! Noch vor Sonnenaufgang brach ich auf. Der Rucksack war voll beladen mit Wasser, denn 30 km lang konnte ich nicht mit Auffüllmöglichkeiten rechnen.
Die Landschaft ist wunderschön, die Zeiten von trockenen Wüstenlandschaften sind endlich vorbei. Prächtige Bäume spenden Schatten und Hügel sorgen für Abwechslung. Obwohl alles grüner scheint, ist es sehr trocken. In den nächsten paar Tagen werden gar kontrollierte Waldbrände gelegt.
Am Nachmittag zeigte sich die Sonne von der gnadenlosen Seite. Zum ersten Mal konnte ich meinen Sonnenschirm in Gebrauch nehmen, denn in der Wüste war es jeweils zu windig.
Nach ca. 30 km kam dann auch die lang ersehnte Viehtränke. Das Wasser musste ich zwar mit den Kühen teilen, aber gefiltert war es durchaus trinkbar. Ich wanderte noch ein paar Meilen und stellte dann mein Zelt auf.



Tag 11
Heute stand eine besondere Challenge an: 15 km dem Highway entlang laufen. Zuerst gabs aber noch ein bisschen Trailmagic: Vor der Highwayeinfahrt deponierten Trailagel eine Kiste voller Leckereien. Nach einem Becher Apfelmus fühlte ich mich startklar.
Am frühen Morgen war es noch kalt, aber das änderte sich schnell. Bereits um 10 Uhr brannte die Sonne erbarmungslos auf den Asphalt. Nach ca. 5 km spielte ich zum ersten mal mit dem Gedanken, meinen Daumen auszustrecken. Autostopp wäre schon verlockend gewesen…
Irgendwie kämpfte ich mich dann aber mit eigener Kraft nach Silver City durch. Am frühen Nachmittag bin ich schliesslich im Hostel angekommen. Dort ging ich als erstes unter die Dusche.
Nach einem kleinen Schwatz mit anderen Wanderer ging ich mit Magic Mike (ja, das ist wirklich sein Trailname) und Grit in die Brauerei um die Ecke einen fetten Hamburger essen. Grit hatte noch kein Zimmer, und das Hostel war bereits ausgebucht. Magic Mike meinte, Grit und ich sollen uns doch sein Einzelzimmer teilen und er würde mein Bett im Mehrbettzimmer beziehen. Das haben wir dann auch so gemacht.
Den Abend habe ich im Hostel verbracht. Im grossen Garten brannte ein Feuer und ein alter Cowboy mit Gitarre gab ein kleines Konzert.



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