Tag 54

Heute Morgen machte ich mir ein leckeres, ausgiebiges Frühstück in der Hostelküche. Die restliche Zeit des Tages verbrachte ich mit Essen einkaufen, Essen essen und durchs Dorf schlendern. Und natürlich mit einem Besuch bei der Post, denn: Mein neues Zelt ist endlich angekommen! Es ist viel grösser und stabiler als mein altes und wiegt dabei sogar noch weniger, nämlich nur gerade mal 500g!

Auch die Planung der nächsten Etappen stand heute an. Kingo und ich sind ein gutes Wander-Team, aber ich wandere halt auch gerne ab und zu alleine. Meinen eigenen Rhythmus zu gehen, fehlte mir in letzter Zeit. So kam es mir gelegen, dass Kingo bereits heute losziehen wollte. Er wird in Creed, etwa 70 Meilen von hier, einen Halt machen. Mein Plan ist es, heute noch einen Pausentag einzulegen und dann die nächsten 135 Meilen bis nach Monarch Pass durchzuwandern. Wir werden uns, wenn es passt, irgendwo wieder treffen.

Tag 55

Um 8 Uhr fuhr eine Frau aus dem Dorf Legs, Grit und mich zurück zum Trail. Uns erwartete eine etwa halb stündige Fahrt auf Schotterstrasse. Am Ende der Strasse wanderten wir eine Stunde steil bergauf, bis wir wieder auf dem Continental Divide Trail waren.

Obwohl wir wieder am genau selben Ort standen wie vor zwei Tagen, kam ich mir vor wie in einer anderen Welt. Der Neuschnee war geschmolzen, die Vögel pfiffen um die Wette und hie und da streckte ein Murmeli seine Nase aus dem Boden. Der Frühling ist zurück!

Ich fühlte mich heute sehr gut. Obwohl ich mit all dem Essen übergewichtig unterwegs war, hatte ich einen Zahn drauf wie schon lange nicht mehr. Das hatte zum einen sicher mit dem Wetter zu tun, zum anderen aber wohl auch mit dem Pausentag. Auf den Körper hören, ab und zu Pause machen, genügend schlafen, gut essen und nicht jedes Mal im Dorf in den Kneipen versumpfen. Das ist wohl das Geheimrezept. Wobei letzteres gar nicht immer so einfach ist, wenn man nach Tagen wieder einmal in der Zivilisation ist…

Grit und Legs hatte ich schnell abgehängt und ich genoss es, wieder einmal für mich alleine zu wandern.

An einem schönen Plätzchen konnte ich dann endlich das erste Mal mein neues Zelt aufstellen. Es ist ein Palast! Sogar mein Rucksack hat nun neben mir Platz.

Tag 56

Heute Nachmittag, nach einem Blick auf die Karte, ist mir plötzlich bewusst geworden: Die Southern San Juans sind geschafft! Aufgrund der Höhe, der Kälte, des Schnees und des Zustands des Wanderweges gilt dieser Abschnitt als einer der herausforderndsten des ganzen Continental Divide Trails. Ein bisschen stolz bin ich, dass ich die ganze Originalroute durchgezogen habe. Es war hart, aber auch ein gutes Training, mental und physisch.

Fast 25 Meilen (ca. 40 km) bin ich heute gelaufen. Es waren zwar immer noch viele Höhenmeter zu überwinden, aber der Weg ist einfacher geworden. Während vor Silverton vielfach gar kein Trail ersichtlich war, werden hier umgefallene Bäume zersägt und kleine Brücken gebaut. Das liegt daran, dass auf diesem Abschnitt auch der Colorado Trail durchgeht. Und dieser Weg wird im Sommer oft gewandert, umso grösser ist das Interesse, ihn im Stand zu halten.

Gleich vor dem Pass, der nach Lake City führt, habe ich zwei andere CDT-Wanderer getroffen. Sie wollten vom Highway in die Stadt hitchhiken. Ich soll doch mit ihnen kommen. „Bier, Cheeseburger, Milchshake und eine warme Dusche warten auf dich!“ meinten sie. Das hörte sich natürlich sehr verlockend an. Aber ich hatte schliesslich nicht vergebens für sieben Tage Essen eingepackt. Ich verabschiedete mich von ihnen und zog weiter.

Vor dem letzten Aufstieg des Tages wurde es plötzlich dunkel am Himmel. Mein Plan wäre es gewesen, auf dem Hochplateau zu übernachten. Bei diesem Wetter war mir das aber nicht ganz geheuer. Ich beschloss, dem Wettergeschehen etwas zuzusehen und legte im letzten Waldabschnitt eine längere Pause ein.

Nach einer Weile verzogen sich die Wolken etwas und der Wind blies in die richtige Richtung. Also wagte ich es, noch weiter zu gehen, denn ich hatte noch Energie.

An einem von kleine Hügel umgebenen Platz stellte ich mein Zelt auf. Immerhin wäre ich hier im Falle eines Gewitters nicht völlig exponiert gewesen.

Tag 57

Als heute Morgen der Wecker klingelte, fühlte ich mich nicht so purlimunter, wie ich gestern ins Bett ging. Mein Kopf brummte, meine Nase war zu und ich hatte einen komischen Druck auf der Brust. Es fühlte sich an, wie wenn ich kurz vor einer Erkältung mit Husten und allem drum und dran stand. Ja, das ist genau das, was man gebrauchen kann, wenn man auf knapp 4’000 m.ü.m. über Stock und Stein wandert!

Ich fragte mich, wo ich denn dieser Käfer aufgelesen habe. Zu den einzigen zwei Menschen, denen ich die letzten Tage begegnet bin, hatte ich nur kurz und auf Distanz Kontakt. Nun… ist es die Murmeligrippe oder doch Elch-Pocken? Egal, jammern bringt nichts. Nase schnäuzen, Schuhe binden und los.

Der erste Aufstieg war hart. Im Zeitlupentempo und schnaufend wie eine Dampflok kämpfte ich mich hoch. Mein einziger Trost: Nach zwei Aufstiegen würde es bergab gehen und ich werde einiges an Höhe verlieren. Wenn ich mein Tagesziel erreiche, werde ich diese Nacht auf 3’100 m.ü.m. schlafen, was einiges tiefer und somit angenehmer sein wird als letzte Nacht (3’800m.ü.m.).

Im Verlauf des Nachmittags nahmen die Wolkenfelder zu. Es wehte ein eiskalter Wind und ab und zu schneite es ein paar Flocken. Als es dann endlich bergab ging, wurde es allmählich wärmer. Auch meine „Grippesymptome“ verschwanden. Vielleicht hatte es wirklich mit der Höhe zu tun.

Nach dem San Luis Pass waren plötzlich wieder etwas mehr Leute anzutreffen. Die Alternativroute führt dort wieder zur Originalroute. Jeder, mit dem ich gesprochen hatte, kürzte die Route durch die San Juans aufgrund des Schnees entweder ab, oder versuchte es gar nicht erst und wählte von Anfang an die Alternativroute. Die Leute zeigten sich erstaunt, als sie erfuhren, dass ich die ganze Originalroute gelaufen bin. Sie gratulieren mir und sagen mir immer wieder, wie „badass“ ich sei. Hört auf damit, sonst steigt es mir in den Kopf!

Der Wanderweg führte an einem Fluss entlang talwärts. Auch wenn ich mich immer noch auf über 3’000 m.ü.m. aufhielt, fühlte es sich schon viel lebenswerter an als weiter oben. Es hatte wieder Bäume, alles war grün und Vögel zwitscherten. Nach 40 km hatte ich mein Tagessoll erreicht. An einem lauschen Plätzchen am Fluss stellte ich gerade noch vor Sonnenuntergang mein Zelt auf.

Tag 58

Nach den Strapazen der letzten Tage fühlte sich der Trail heute an wie ein Sonntagsspaziergang. Durch riesige Birkenwälder, auf gut gepflegtem Wanderweg kam ich so schnell vorwärts wie schon lange nicht mehr. Mit etwa 20 Grad war es perfektes Wanderwetter und meine Grippesymptome waren endgültig verschwunden. Mittlerweile bin ich mir sicher, dass es die Höhe war, die mir zu schaffen machte.

Gleich nach einer längeren Mittagspause kam ein Mann mit Hund auf mich zu. „Heey du! Komm mit, mein Auto steht gleich da vorne und ist voller Leckereien!“ rief er mir schon von weitem zu. Was sich im ersten Moment wie eine Masche eines Grüsels anhört, nennt sich übrigens Trail Magic. Mir ging durch den Kopf, wie Mami mir als kleines Kind eingeschärft hat, wie ich mich zu verhalten habe, wenn mich jemand so anspricht. Auf jeden Fall nicht, so wie ich es getan habe: Ich bin ihm gefolgt. Als er seinen Kofferraum öffnete, offenbarte sich DAS Wanderparadies: kalte Getränke, Chips und Süssigkeiten. Der nette Herr, dessen Namen ich leider vergessen habe, wollte den ganzen Tag hier verbringen und CDT-Wanderer abfangen, um ihnen eine kleine Motivationsspritze zu geben. Nach einer kurzen Pause und einem netten Gespräch zog ich weiter.

Nach einer halben Meile hörte ich plötzlich laute Rufe aus der Ferne. Als ich mich umkehrte, sah ich den Hund des Trailangels geradlinig auf mich zu rennen. Leider hörte er zu gut auf sein Herrchen und kehrte dann um. Ich hätte ihn gerne als Weggefährte behalten.

Auch heute habe ich wieder einen Campingspot direkt am Bach gefunden. Ich gönnte meinen strapazierten Füssen ein Bad im eiskalten Wasser. Danach fühlten sie sich an als wären sie nie gewandert. Nach einer grossen Portion Mac & Cheese huschte ich in meinen Schlafsack.

Tag 59

Heute war ein erfolgreicher Tag. Fast 50 km bin ich gewandert. Der Weg führte praktisch nur durch den Wald, was ich sehr genoss. Kurz bevor es ein dunkelte, fand ich einen perfekten Schlafplatz mit Aussicht.

Tag 60

Die Nacht war angenehm mild, für einmal waren meine Schuhe nicht gefroren. Nur noch 22 km trennten mich vom Highway, der nach Salida führte und nach dem Mittag kam ich dann beim Monarch Pass an.

Dort traf ich auf zwei weitere CDT-Wanderer aus Kroatien. Wir alle hatten dasselbe Ziel: Mittels Autostopp nach Salida zu kommen. Die zwei Männer standen schon eine Weile erfolglos an der Strasse mit ausgestreckten Daumen. Ich versuchte etwa 200 m vor ihnen und nach fünf Minuten hielt ein Pickup an. Adam und sein Hund waren gewillt, uns alle nach Salida zu fahren.

Adam hat mich direkt vor dem Hostel abgeladen. Da begrüsste mich auch schon die Rezeptionistin, die im Bikini bekleidet vor dem Haus sass. Es war ja schliesslich auch fast 20 Grad… Sie rauchte genüsslich eine Pfeife mit einem bunten Kräutermix, bot mir auch einen Zug an und erklärte mir, ich könne leider noch nicht einchecken. Also setzte ich mich auf die Bank vor dem Hostel und ruhte mich ein bisschen aus.

Nachdem ich dann endlich einchecken konnte, gönnte ich mir eine Dusche und wusch meine Kleider. Als ich in die Küche ging, kam mir McGuyver entgegen. Er kam bereits gestern an. Im Verlauf des Nachmittags trudelten noch vier weitere Wanderer ein. Wir machten uns mit ein paar Bier und gutem Essen einen gemütlichen Abend in der Hostelküche.