Tag 5

Ich bin froh, haben wir gestern unsere Zelte weit weg von der Strasse aufgestellt (was man ja eigentlich prinzipiell immer machen sollte). Denn andere Wanderer hatten nachts Besuch von der Grenzwache.

Jeder Einzelne wurde befragt und alle Zelte wurden durchsucht. So stelle ich mir einen enspannten Abend nicht vor…

Heute war ein langer Tag. Wir schafften es bis etwas vor Lordsburg. Unser Ziel: Morgen früh los, Endspurt nach Lordsburg und dann ein richtig gutes, deftiges Frühstück essen.

Der Sturm, der sich schon seit Tagen bemerkbar gemacht hat, ist nun wohl da. Ich brauchte etwa eine halbe Stunde, um mein Zelt aufzubauen. Der Wind hat es immer wieder weggeweht. Das hat mir fast den letzten Nerv geraubt!

Tag 6

Nachts wurden die Böen weniger, dafür wurde es das erste Mal recht frisch. Das Thermometer fiel auf knapp über Null, mit Windchill fühlte es sich noch etwas kälter an. Dank meinem warmen Schlafsacks fror ich die ganze Nacht nicht, aber das Aufstehen war schon hart

Nichts­des­to­trotz verliess ich kurz vor Sonnenaufgang meinen warmen Schlafsack und machte mich auf nach Lordsburg. Nachdem ich ein paar Hügel überwunden hatte, sah ich auch schon die staubige Kleinstadt. Zivilisation in Sicht!

Um ca. 10.00 Uhr kam ich beim Motel an und konnte bereits mein Zimmer beziehen. Ich gönnte mir als allererstes eine Dusche. Das Wasser ist sehr knapp in der Wüste und kann nicht für Körperpflege verschwendet werden. Dementsprechend viel Schmutz hat sich am ganzen Körper angesammelt… Nachdem ich sauber war, wusch ich auch noch gleich meine Kleider in der Dusche. Hoppla, ich habe echt viel Dreck mit mir herumgeschleppt!

Frisch herausgeputzt suchte ich das Restaurant neben an auf. Dort sassen auch schon die anderen Wanderer. Genüsslich gönnten wir uns ein ausgiebiges Frühstück.

Viel Zeit zum Relaxen blieb mir nicht. Stattdessen standen Etappenplanung, Einkauf und Besuch bei der Post an. Die Bouncebox habe ich weiter nach Silver City und ein Frässpäckli nach Doc Campbell’s Post geschickt. Der Postbeamte war sehr gesprächig und meinte, sie seien alle ganz aufgeregt und freuen sich, dieses Jahr auch endlich wieder internationale Wanderer kennenzulernen. Sie haben sogar extra eine Weltkarte aufgehängt, auf der jede/r eintragen kann, von wo er/sie kommt. Ich soll mich unbedingt auch eintragen, denn von der Schweiz sei noch niemand vorbeigekommen.

Zusammen mit zwei Leuten aus Frankreich hat mich Tim, der Trailangel, der mich von El Paso nach Lordsburg gebracht hat, ins Denny’s zum Abendessen ausgeführt. Dort haben wir nochmals richtig Kalorien reingefuttert.

Zurück im Motelzimmer, habe ich wieder meinen Rucksack gepackt, denn morgen werde ich wohl noch ausschlafen und dann heissts wieder: Los ins Abenteuer. Nächstes Ziel: Silver City. Die etwas grössere Stadt sollte ich in ca. fünf Tagen erreichen. Dort werde ich dann mal eine längere Pause einlegen.

Zwischenfazit

Bis jetzt bin ich körperlich praktisch unversehrt geblieben, beide Füsse sind noch dran. Ich habe mir zwar eine Blase eingeholt, aber die ist schon fast verheilt. Zweimal habe ich mir einen Dorn (durch den Schuh!) in den Fuss gerammt und einer der Pikser hat sich wohl ein bisschen entzündet… Ich habe mir heute im Supermarkt eine Salbe gekauft, die laut Verpackung einfach ALLES! abtöten soll. Somit sollte das Problem bald Geschichte sein.

Ich bin halt das Greenhorn hier, denn die meisten sind bereits längere Trails, wie z.B. den Pacific Crest Trail, gelaufen. Aber vor allem von den älteren Wanderer und Wanderinnen konnte ich schon vieles lernen. Man wird hier von allen Seiten unterstützt (nur meinen Rucksack wollte mir noch keiner tragen).

An die Kultur muss ich mich erst gewöhnen. Es sind alle sehr nett und zuvorkommend. Gleichzeitig scheint vor allem hier, in New Mexico, jeder und jede eine Waffe zu tragen. Schliesslich ist das ja auch legal und man kann sich in jedem Supermarkt ein schönes Pistöleli kaufen. Man sieht auch immer wieder leere Patronenhülsen am Boden, was mich zuerst schon ein bisschen verunsicherte. Immerhin passieren aber die meisten Unfällen an den Waffenträgern selbst. So soll es schon mal vorkommen, dass man sich in den Oberschenkel schiesst oder dass einer sich die Eier wegpustet, weil er ohne gesicherte Waffe ins Auto sitzt.
Was mich auch ein wenig verwirrt: Die Leute hier scheinen in allem einen Hang zur Übertreibung zu haben. So bin ich heute an einem Haus vorbeigekommen, das zugepflastert war mir Sprüchen wie „God Bless all of our Border Patrol Agent!“ und überall Herzen. Wenn das mal keine hemmungslose Liebeserklärung an die Grenzwache ist…

God Bless all of our Border Patrol Agent!